
Hilfe zur Selbsthilfe
Interview mit Michaela Classen, Suchtbeauftragte der TARGOBANK
Sucht ist eine Erkrankung und weiter verbreitet als einem bewusst ist. Wir haben mit Michaela Classen, Suchtbeauftragte der TARGOBANK, gesprochen, wann man von einer Sucht spricht, was Co Abhängigkeit bedeutet und wo Betroffene Unterstützung finden.
Michaela Classen ist seit 25 Jahren bei der TARGOBANK im Kundencenter in Duisburg beschäftigt und begann damals im Bereich Forderungsmanagement. Von 2005 bis 2015 stand sie dann bereits als stellvertretende Betriebsratsvorsitzende ratsuchenden Mitarbeitenden sowie suchtkranken Kollegen*innen der TDG beratend zur Seite. Seit 2015 ist sie Suchtbeauftragte der Gesamtbank und im Produktservice der TDG tätig.
Michaela, wie kam es dazu, dass Du Suchtbeauftragte der TARGOBANK wurdest?
2015 wollte ich von meiner Betriebsratstätigkeit wieder ins operative Geschäft im Produktservice wechseln. Da kam unser damaliger Personalleiter auf mich zu und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, zusätzlich eine Ausbildung zur betrieblichen Suchtbeauftragten zu machen. Ich musste nicht lange überlegen und machte eine zweijährige Ausbildung bei einer namhaften Krankenkasse, die blockweise in Frankfurt stattfand. Hier habe ich in Akutkliniken, Trauma Ambulanzen, Entgiftungskliniken aber auch bei der Drogenberatung in Frankfurt gearbeitet. Während der Ausbildung gab es auch eine Zeit, in der ich als Streetworkerin auf einschlägigen Plätzen in der Drogenszene Frankfurts unterwegs war.
Wann spricht man eigentlich von einer Sucht und wie verbreitet sind Süchte?
Grundsätzlich ist eine Sucht ein zwanghaftes Verlangen nach bestimmten Substanzen oder Verhaltensweisen, die Missempfindungen vorübergehend lindern und erwünschtes Wohlgefühl auslösen. Problematisch wird es, wenn man die Kontrolle über die Menge bzw. das Ausmaß verliert und finanzieller, sozialer, gesundheitlicher und psychischer Schaden droht. Zunächst denkt man bei Süchten vermutlich erstmal an Alkohol und Drogen, aber natürlich handelt es sich auch bei Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie (Ess-Brechsucht), Medien- und Spielsucht oder zum Beispiel auch Waschzwang um Süchte. Die Dunkelziffer suchtkranker Menschen in Unternehmen beträgt rund 10 Prozent. Auffällig werden aber nur ca. 1 Prozent. Viel häufiger ist die Co Abhängigkeit und das trifft deutlich mehr Kolleg*innen, denn davon ist fast jede dritte Familie betroffen.
Was ist eine Co Abhängigkeit? Und was hat sie für Folgen?
Manchmal übernehmen beispielsweise Partner, Kinder oder Eltern von Suchtkranken so viel Verantwortung, dass die Sucht ihr Leben bestimmt und sie selbst psychische Störungen davontragen. Sie versuchen zu helfen und angehörige Suchtkranke zu schützen und das bedeutet immensen Stress. Zudem hat Sucht häufig eine große Schnittmenge mit psychischen und körperlichen Übergriffen, vor allem wenn es um Alkohol und Drogen geht. Viele Angehörige, die zu mir ins Gespräch kommen, haben emotionale, körperliche und sexualisierte Gewalt erfahren und leiden unter posttraumatischen Störungen. Ein wichtiger Schritt ist es, sich selbst die Abhängigkeit des suchtkranken Angehörigen einzugestehen und darüber zu sprechen. Es geht darum, die gefühlte Verantwortung für Betroffene abzugeben und sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Einer meiner Schwerpunkte liegt darum insbesondere auch in der Arbeit mit Angehörigen von Suchtkranken.
Wie kann man das Arbeitsumfeld so gestalten, um Kolleg*innen zu unterstützen, ihre Sucht oder auch Co Abhängigkeit zu bekämpfen bzw. dem vorzubeugen? Was können Führungskräfte tun?
Wichtig sind eine offene, vertrauensvolle Unternehmenskultur und die frühzeitige Unterstützung von Betroffenen. Darum ist es mir wichtig, mein Umfeld im Unternehmen für das Thema Sucht zu sensibilisieren und betriebliche Suchtprävention zu betreiben. So gebe ich zum Beispiel Workshops für Führungskräfte und Personalverantwortliche zum Thema Sucht, um Aufklärung zu betreiben, zu sensibilisieren und dafür Sorge zu tragen, dass Auffälligkeiten schneller wahrgenommen und erkannt werden. Mein Ziel ist es, dass Führungskräfte betroffenen Mitarbeitenden fürsorgliche und lösungsorientierte Gespräche anbieten können und den Kontakt zu mir herstellen.
Wie erkennt man, ob jemand eine Herausforderung mit Sucht hat, was kann man tun und was sollte man vielleicht auch vermeiden?
Es gibt natürlich vielfältige Anzeichen, die auf eine Herausforderung mit Sucht hinweisen können. Das kann zum Beispiel permanente Gereiztheit, sozialer Rückzug oder Veränderungen in der Erscheinung oder im Verhalten sein – also alles, was auffällt, was eigentlich nicht zu der Person passt. Wenn Sie so etwas bei einem Kollegen oder einer Kollegin feststellen, wenden Sie sich gern an mich und wir überlegen gemeinsam, was die nächsten Schritte sein können. Oder Sie suchen erstmal das Gespräch zur Kollegin/ zum Kollegen. Allerdings vermeiden Sie bitte zu sagen: „Ich glaube, Du bist suchtkrank“, besser: „Mir ist bei Dir aufgefallen, dass … Ich mache mir Sorgen. Kann ich Dich unterstützen?“. Sie können auch anbieten, einen Kontakt zu mir herzustellen.
Wie sieht die Unterstützung konkret aus, die Du suchterkrankten Kolleg*innen oder Kolleg*innen in Co Abhängigkeit anbietest?
Ich biete Hilfe zur Selbsthilfe. Kolleg*innen können zunächst ein vertrauensvolles Gespräch mit mir suchen und ich unterstütze bei der Suche nach einem Lösungsweg. Ich arbeite eng mit unserem Gesundheitsmanager Berthold Iserloh zusammen und habe ein großes Netzwerk von Therapeut*innen, ambulanten und stationären Suchthilfen, Drogenberatungsstellen und Selbsthilfegruppen, welches ich pflege und stetig aufbaue. Ich vermittele und unterstütze bei entsprechenden Antragstellungen und begleite Mitarbeitende auch bei einem ersten Weg dorthin, wenn gewünscht. Ich stehe Kolleg*innen aber auch bei, wenn schon externe Hilfe angenommen wurde. Ich führe Motivationsgespräche und sehe mich als Begleiterin in eine hoffentlich suchtfreie Zukunft.
Du wirst sicher mit sehr schweren Schicksalsschlägen konfrontiert und Dein Engagement geht vermutlich auch über Deine Arbeitszeit hinaus. Ist das nicht auch sehr belastend? Wie gehst Du damit um?
Die Schicksale meiner Kolleg*innen bewegen mich natürlich sehr. Und ja, oft begleite ich sie in sehr schweren Stunden auch abends und am Wochenende. Mir hilft, dass mir die TARGOBANK sehr viel Flexibilität bietet, so dass ich meine Arbeitszeiten frei einteilen kann, so wie ich gebraucht werde. Und es gibt mir sehr viel Kraft, wenn ich sehe, dass Kolleg*innen, die ich begleite, wieder zuversichtlicher werden und es ihnen besser geht. Zudem ist es natürlich auch für mich wichtig, gut auf mich zu achten. Da ich selbst Erfahrungen mit suchtkranken Familienmitgliedern habe, habe ich auch im privaten Umfeld gelernt, Strategien zu entwickeln, das Gedankenkarussell in den Griff zu bekommen und mir auch bewusst Zeit für mich zu nehmen. Das möchte ich auch allen Kolleg*innen mit auf den Weg geben: Selbstfürsorge ist das Wichtigste, um auch für andere da sein zu können. Und Selbstfürsorge kann man lernen und dabei unterstütze ich gern.
Eine schöne Abschlussbotschaft! Vielen Dank, Michaela!
Kontakt
Bei Fragen rund um das Thema Sucht können Sie Michaela Classen per Mail oder per Skype erreichen und einen Gesprächstermin vereinbaren. Alle Gespräche sind selbstverständlich vertraulich und fallen unter die Schweigepflicht. Weitere Informationen finden Sie in Pixis (Link für IT).
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